Alltag

Wenn das Hoffen auf ein Wunder zum Problem wird: die Therapiesucht

Barrierefreiheit ist ein breiter und großzügiger Begriff. Es gibt allerhand nebulöse Grauzonen und verwischende Grenzen, die ineinander übergehen. An vorderster Front ,,kämpfen“ allerdings meist die Toleranz, die Offenheit und der Respekt, wenn es darum geht, barrierefrei zu denken.

In meinem heutigen Beitrag versuche ich, dass hoch propagierte Thema ,,Wunder“ zu analysieren und die Therapiesucht zu beleuchten. Es ist oft so, dass Menschen an Wunder glauben. Ist ja auch eine logische Konsequenz des menschlichen Verstandes: Wunder geben Kraft und Hoffnung, Wunder beflügeln die Fantasie und manchmal, manchmal passieren sie auch tatsächlich.
Und da der Mensch sich gern selbst sehr wichtig nimmt, glaubt er auch daran, ein auserwähltes Exemplar zu sein, etwas Besonderes, weshalb ihm natürlich irgendwann ein Wunder gegönnt werden wird.

Das ist im Grunde nichts Schlechtes. Doch Eltern, die nicht akzeptieren können, dass ihr Kind behindert ist und auf ein sogenanntes Wunder hoffen, diskriminieren ihr eigenes Kind. Und dabei kommt der noch frische Begriff ,,Therapiesucht“ auf. Denn diese gibt es mittlerweile in jeder auch nur erdenklichen Form. Man kann eine Kommunikationstherapie machen, eine Maltherapie, eine Sporttherapie oder sogar eine Freizeittherapie. Das Leben eine einzige Therapie. Das Leben als Therapie selbst.

Und bei jeder neuen Therapie, hoffen die Eltern auf ein neues Wunder. Das Kind derweil muss sich all dies gefallen lassen. Muss sich gefallen lassen, dass die Bilder, die es malt, analysiert, kritisiert und wie lieblose Objekte behandelt werden, obwohl so viel Liebe drin steckt. Es muss sich den Spaß am Reiten nehmen lassen, weil es dazu nicht da ist, sondern nur, um die Muskulatur zu stärken, den Gleichtsgewichtssinn zu stabilisieren und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Überall, wo es hinkommt, erfährt das Kind genau eines: So, wie du bist, bist du nicht ,,richtig“. Du musst all dies tun, um ,,besser“ zu werden. Anders.

Ist das gesund? Einem Kind zu suggerieren, dass es so, wie es ist, nicht ,,richtig“ ist? Dass es so nicht akzeptiert wird? Nicht ernst genommen?
Sollten Eltern sich eigentlich nicht schämen, aus purer Selbstsucht und purem Selbstschutz, an ihren Kindern herum zu doktern, bis sie einigermaßen in das glatte Gesellschaftsbild passen? Hier findet ihr übrigens einen sehr ausführlichen, weiterführenden Artikel zum Thema ,,Therapiesucht“, den ich mit Spannung und wachsender Aufmerksamkeit gelesen habe.

Es gibt natürlich aber auch einen positiven Aspekt des ,,Wunders“. Nämlich den der Eltern, die sich darüber freuen, zu entdecken, dass ihr Kind Freude am Leben hat – trotz Behinderung. Dass es lacht, Freunde hat, sich sorglos gibt und manchmal problemorientiert, dass es normal zur Schule geht und im Grunde genommen beinahe ein normales Leben führt.
Wieviel Stärke in so einem Menschlein stecken kann, wieviel Lebensfreude – darüber sind Eltern auch erstaunt. Freuen sich. Und sind wahnsinnig stolz auf das eben nicht vorhandene Defizit ihres Kindes.

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